
Der OR120 von 1974 – Geschichte, Erbe und Wartung, Teil 3
Im letzten Monat haben wir uns um einen originalen Orange OR120-Kopf von 1974 gekümmert, den sein Besitzer zum Tuning eingeschickt hatte, bevor er ihn an seinen Sohn vererbte. In den vorherigen Beiträgen haben wir uns die Geschichte und das Erbe des Geräts angesehen und gezeigt, wie wir es für den Einsatz in der heutigen Zeit vorbereitet haben. Jetzt ist es Zeit für den ultimativen Beweis: den Anschluss einer Gitarre. Alle Gitarren-Soundbeispiele in diesem Beitrag wurden auf einer PJD Carey-Gitarre mit Single-Coil-Pickup am Hals und Humbucker-Pickup am Steg aufgenommen.
KEINE GEFANGENEN
Das Erste, was man über diesen Verstärker sagen kann, ist: Er ist LAUT. Also, unglaublich laut – um Längen lauter als jeder moderne Orange-Verstärker, sodass es heute vielleicht noch weniger rätselhaft ist, warum so viele Rockmusiker der 1960er und 70er Jahre im hohen Alter an Hörverlust leiden. Wir ließen ihn in einem Raum von der Größe eines durchschnittlichen Proberaums mit etwa einem Drittel der Lautstärke durch eine Orange PPC412-Lautsprecherbox laufen, und schon löste er plötzlich Tinnitus-Anfälle aus und verlangte nach Gehörschutz. Da die Buchsen des Verstärkers auch den Anschluss von zwei Lautsprecherboxen ermöglichen, ist das Potenzial dieses Monsters enorm.
Aktuelle Aufnahmen aus dem Orange-Hauptquartier, in denen Cheftechniker Jon zum ersten Mal über den OR120 spielt
Diese schiere Kraft ist vielleicht ein Hinweis auf die Ära, in der der Verstärker entwickelt und gebaut wurde: vor dem Zeitalter komplexer, leistungsstarker PA-Systeme in den frühen 80er-Jahren, aber kurz nach dem Aufkommen von Stadionrock und den Open-Air-Musikfestivals der frühen 70er-Jahre (das ursprüngliche Woodstock fand beispielsweise im August 1969 und das erste Glastonbury im Juni 1970 statt). Damals wurde von Bands weitgehend erwartet, dass sie ihren eigenen Sound mitbrachten und nicht viel Verstärkung von einem PA-System erwarteten. Und so hätte der OR120, montiert an ein paar 4×12-Lautsprecherboxen, kein Problem damit, große Räume zu füllen.
Hinzu kam, dass die Bühnenmonitoring-Technologie Anfang der 1970er Jahre noch sehr primitiv war. Man erwartete, dass man sein Spiel direkt vom Verstärker auf der Bühne hören konnte, selbst wenn dieser 15 Meter entfernt war und eine Rhythmusgruppe dazwischen spielte. Die Leistung des OR120 konnte all das souverän liefern und war eindeutig speziell dafür konzipiert.
Dass der Verstärker diese Lautstärke erreicht, liegt vor allem an der enormen Spannung von 500 V in seiner Schaltung, die deutlich höher ist als bei modernen Verstärkern und deutlich mehr Headroom bietet. Vier Endstufenröhren und eine einfache Vorverstärkerschaltung, die dem Signal nicht zu viel Verstärkung entzieht, tragen ebenfalls dazu bei. Der OR120 verfügt zudem über weniger Tone Stacks als viele seiner Nachfolger der Orange-Reihe, was zu geringeren Verstärkungsverlusten in der Signalkette führt.
Auch der Klang des Amps ist ein interessanter Indikator für sein Alter. Bei allen Reglern auf Mittelstellung ist er bemerkenswert klar und klingend, mit viel Kraft und Dreidimensionalität, wenn auch nicht ganz dem Charakter der Orange-Amps des neuen Jahrtausends.
TONFORMUNG
Der ungewöhnliche FAC-Regler, ein sechsstufiger Regler, der immer mehr Tiefen vom Ton abzieht, hat jedoch einen enormen Einfluss auf die Klangformung und macht den Klang mit zunehmender Intensität immer spröder und heller. Im äußersten Extrem klingt dies für moderne Ohren durchdringend hoch, aber ein erneuter Blick auf Platten aus der zweiten Hälfte der 60er und frühen 70er Jahre, beispielsweise von den Beatles und den Byrds, zeigt, dass dies der Sound zeitgenössischer Gitarrenmusik ist, was darauf hindeutet, dass Orange wie eh und je auf dem neuesten Stand ist.
Wenn der FAC jedoch mit einer höheren Verstärkung und im Overdrive-Bereich kombiniert wird, verleiht er dem Ton eine Definition, die den leicht matschigen, übersteuerten Grundklang ausgleicht und sich als unschätzbar wertvolle Komponente im Werkzeugkasten des Verstärkers zur Tonformung erweist.
Auch der Zweiband-EQ ist überraschend leistungsstark. Der Bereich beider Regler ermöglicht eine große Variationsbreite in der Klangformung und damit Vielseitigkeit – vermutlich ein weiteres Feature, das dem Gitarristen auf der Bühne mit einer lauten Band um ihn herum helfen soll. Auch der HF. Gain-Regler lässt sich etwas subtiler steuern und formt die mittleren und hohen Töne ähnlich wie ein moderner Präsenzregler, wobei die Interaktion mit dem Gain-Regler dennoch gut integriert ist.
OVERDRIVE
Ein weiteres interessantes Zeichen der Zeit, was den Klang betrifft, sind die nur mäßigen Overdrive-Fähigkeiten des OR120: Der deutlich saubere Klang des Amps beginnt erst bei etwa drei Vierteln Gain zu bröckeln, und es gibt einen großen Bereich am Rande des Breakups, wo der Fuzz des Tons weitgehend von der Spieltechnik des Spielers bestimmt wird. Das Fehlen eines Master-Volume-Reglers bedeutet zudem, dass man mit außergewöhnlich hoher Lautstärke über den Amp spielen muss, bevor ein Anschein von Breakup oder Overdrive entsteht. Selbst bei vollem Gain ist er jedoch weit entfernt von den vollgesättigten Röhren-Screamern der 1990er und später und behält eher den Sound britischer Punks/Sex Pistols bei, mit Biss und Wildheit, aber auch recht knackig (obwohl es fraglich ist, ob Leute wie Steve Jones, der bekanntermaßen seine frühen Instrumente stahl, jemals einen OR120 in die Finger bekamen).
Dies macht den OR120 zu einem interessanten Artefakt der Rockmusikgeschichte: Selbst 1974, als dieser Verstärker produziert wurde, drei Jahre nachdem Led Zep IV und Paranoid die Morgendämmerung des Heavy Metal und der gewaltig klingenden Rockmusik eingeleitet hatten, blieben die Gitarrenklänge recht zurückhaltend, und die Lust auf extrem heulenden Overdrive steckte eindeutig noch in den Kinderschuhen. Das Verständnis dafür rückt diese klassischen Alben in einen neuen Kontext als echte klangliche Grenzgänger und erinnert auch daran, dass die Entwicklung vom Crunch zum Thrash und zur totalen Sättigung noch einige Jahre dauern würde – und vielleicht die Einführung eines Master-Lautstärkereglers. Und wir müssen warten, bis ein weiteres Orange-Relikt auf der Werkbank erscheint, bevor wir uns damit befassen.